„Achja, ein Gläschen soll ja gesund sein!“
Na, hast du dich auch schon mal bei diesem Gedanken erwischt? Wir neigen dazu uns Dinge schön zu reden, auch wenn wir tief im Inneren wissen, dass die positiven Seiten vielleicht gar nicht überwiegen. Aber soll nicht Rotwein wirklich gesund sein?
Vor wenigen Jahren hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Pfälzer Winzer ihren Wein nicht als „bekömmlich“ bezeichnen dürfen. Die Begründung lautet, dass diese Bezeichnung suggerieren könne, dass Alkohol gut für unsere Gesundheit sei [1]. Wie ist es denn nun? Soll Rotwein nicht gut fürs Herz sein und vor Herzinfarkt und auch vor Schlaganfall schützen?
2015 hat jede in Deutschland lebende Person (über 15 Jahre) im Schnitt 135,5L Fertigware, sprich Bier, Wein, Schaumwein oder Spirituosen, zu sich genommen. Anders ausgedrückt entspricht dies pro Kopf 9,6L reinem Alkohol [2]. Davon trinkt der Deutsche im Durchschnitt 21L Wein – das entspricht ca. 15% des Gesamtalkoholverbrauchs [3]. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Alkoholkonsum pro Kopf in Deutschland höher als im Durchschnitt der restlichen europäischen Staaten. Zusätzlich sinkt der Alkoholkonsum in vielen Nachbarländern deutlicher und schneller im Vergleich zu Deutschland [4].
Aber soll nicht sogar ein mäßiger Alkoholkonsum besser sein als die völlige Abstinenz? Und was hat es speziell mit Rotwein auf sich?
Neben dem Alkohol selbst sollen auch Inhaltsstoffe des Rotweins eine Rolle spielen [5]. Im Rotwein befindet sich das so genannte Resveratrol, das neben antioxidativen auch entzündungshemmende Eigenschaften besitzen soll [6,7]. In Zellversuchen wurde getestet, unter welchen Umständen Resveratrol ein bestimmtes Protein (Sirtuin) aktivieren kann. Dieses gilt wohl als eines der Schlüsselenzyme in Bezug auf Krebs- und Herzinfarktprophylaxe [6]. Eine Übersichtsarbeit von Kailash Prasad von der Universität Saskatchewan in Kanada macht jedoch deutlich, dass die Rechnung nicht ganz so einfach ist: Tierversuche und In-Vitro-Studien konnten zeigen, dass Resveratrol Gefäßverkalkungen (Arteriosklerose) verhindern kann. Jedoch fehlen bisher beim Menschen robuste klinische Studien, die wirklich zweifelsfrei belegen können, dass es eine präventive Wirkung von Resveratrol und somit vom Rotwein für den Menschen geben muss [6,7].
Der mögliche gesundheitsfördernde Effekt eines gemäßigten Alkoholkonsums wird wirklich viel diskutiert. Immer wieder wird betont, dass ein regelmäßiger Konsum geringer Mengen Alkohol der chronischen ischämischen Herzkrankheit (v.a. Arteriosklerose) und Diabetes Typ 2 entgegenwirken kann[5].
Die Mechanismen, wie es zu diesem schützenden Effekt kommt sind folgende: Durch den Konsum von Alkohol wird unser gutes Cholesterin (HDL) positiv beeinflusst und verdünnt das Blut, so dass es weniger zur Entstehung von Gerinnseln kommt [6]. Somit wirkt es einer Arteriosklerose und damit auch einem Herzinfarkt oder Schlaganfall entgegen. Es ist jedoch zu beachten, dass dieser „schützende“ Effekt durch eine einzelne Episode höheren Alkoholkonsums zunichte gemacht wird [8], weshalb er wohl in der Realität nur selten eine Rolle spielen dürfte! Zudem bezieht sich der positive Effekt wirklich nur auf sehr einzelne Krankheiten [9]. Tatsächlich stellt Alkohol bei den allermeisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher einen Risikofaktor dar, anstelle eines Schutzfaktors (z.B. bei Kardiomyopathie, Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck) [5].
Betrachtet man den menschlichen Körper im Ganzen, so übersteigt selbst bei geringen Mengen Alkohol das Gesundheitsrisiko den positiven Effekt[8].
Denn schon kleinste Mengen greifen zum Beispiel die Schleimhautzellen in Mundhöhle, Speiseröhre und auch des Magens an. Es können Magen- und auch Darmgeschwüre durch Alkoholkonsum begünstigt werden. Ein großer Risikofaktor spielt Alkohol auch im Hinblick auf das Krebsrisiko. Das Risiko für Tumoren in Mundhöhle, Rachen, Speiseröhre, Darm und Leber wird eindeutig erhöht. Bei Frauen ist die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken durch das tägliche Glas Alkohol um ca. 7-8% erhöht [6]. Und es spielt bei all den Erkrankungen absolut keine Rolle, ob ich nun Rotwein oder Alkohol in anderer Form getrunken habe.
Der Mythos, dass Alkohol in Form von Rotwein am gesündesten ist, ist vor allem der Weinindustrie zu verdanken. Bereits die ersten Studien zum Gesundheitspotenzial von Wein wurden von der Weinindustrie finanziert. Auch heute gibt es noch auffällig viele Forschungsarbeiten in Italien, Frankreich, Südafrika oder Kalifornien, die den Inhaltsstoff der roten Trauben als Wundermittel hervorheben [6].
Es gibt von keiner Fachgesellschaft eine Empfehlung, dass gewisse Mengen Alkohol für die Gesundheit förderlich sind. Im Gegenteil: einige Fachgesellschaften benennen zwar konkrete Alkoholmengen für Männer und Frauen, diese sind jedoch keine Empfehlungen sondern nur Richtwerte für einen risikoarmen (aber nicht risikofreien) Konsum von Alkohol.
So gelten 10g Alkohol pro Tag für Frauen als maßvoll – für Männer wird die doppelte Menge genannt. Die Menge von 10g Alkohol entspricht bspw. 0,25l Bier, einem Glas Sekt oder einem Gläschen Wein [6]. Immer mehr Fachgesellschaften neigen jedoch dazu, überhaupt keine Obergrenzen mehr zu benennen, da bei Alkoholkonsum der Netto-Effekt für die Gesundheit immer negativ ausfällt, egal bei welchen Mengen. Auch die WHO betont, dass es wissenschaftlich belegt ist, dass der vollständige Verzicht auf Alkohol für die Gesundheit am besten ist. Es gilt: Weniger ist besser. Denn es gibt fast immer eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Das heißt, je höher der Alkoholkonsum, desto größer das Krankheitsrisiko [10].
Aber warum dürfen Frauen eigentlich noch weniger trinken als Männer?
Frauen haben einen deutlich geringeren Wasseranteil in ihrem Körper im Vergleich zu den Männern. Das führt dazu, dass der Alkohol im weiblichen Körper eine höhere Konzentration und somit auch eine höhere Toxizität erreicht. Zusätzlich wird das Enzym, das Alkohol abbaut, bei Frauen weniger produziert, so dass der Alkoholabbau bei Frauen deutlich länger dauert [10].
Meiner Erfahrung nach wird der positive Effekt des Alkohols in unserer Gesellschaft massiv überschätzt. Es gibt lediglich einen risikoarmen, aber niemals einen risikofreien Alkoholkonsum bzw. einen Alkoholkonsum der gesund für unseren Körper ist. Dennoch steht es jedem frei zu entscheiden, inwieweit Alkohol im Leben eine Rolle spielt. Denn für viele Menschen steht Alkohol auch für Genuss und Lebensqualität. Zudem ist bei der Wahl eines alkoholischen Getränks nicht automatisch der Rotwein immer die beste Wahl. Liegt beispielsweise eine Histaminunverträglichkeit vor, so ist durch den hohen Histamingehalt im Wein sicherlich ein Bier die bessere Wahl. Habe ich jedoch mit erhöhten Harnsäurewerten zu kämpfen, so sollte ich, wenn es sich nicht vermeiden lässt, vielleicht eher zu einer Weinschorle greifen.
Wichtig ist, dass man weiß, auf was man sich beim Alkohol trinken einlässt, und sich nicht vorgaukelt, es sei auch noch gut für das Herz und die Gesundheit!
[1] https://www.stb-web.de/news/article.php/id/5246
[2] John U, Hanke M, Meyer C et al. Alkohol. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hg). Jahrbuch Sucht 2017. Lengerich, Pabst (2017), S. 35–50
[3] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen. Alkohol Basisinformationen. Hamm, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2015)
[4] https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-05/who-alkoholkonsum-deutschland-hoch-europa-vergleich-studie
[5] Singer MV, Teyssen S (Hg). Alkohol und Alkoholfolgekrankheiten. Grundlagen, Diag- nostik, Therapie. Springer, Berlin (2005)
[6] https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/wie-gesund-rotwein-ist-chteau-medecine-1.1619086
[7] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3444029/
[8] Roerecke M, Rehm J (2010) Irregular heavy drinking occasions and risk of ischemic heart disease: a systematic review and meta-an- alysis. Am J Epidemiol 171: 633–644
[9]. Parry CD, Patra J, Rehm J (2011) Alcohol consumption and non-communicable dis- eases: epidemiology and policy implications. Addiction 106: 1718–1724
[10] http://www.euro.who.int/de/health-topics/disease-prevention/alcohol-use/data-and-statistics/q-and-a-how-can-i-drink-alcohol-safely
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